Geschichte


Die Geschichte der Norwegischen Waldkatze begann in einer längst versunkenen Zeit, als die Menschen noch nicht für alles eine wissenschaftliche Erklärung hatten und die Welt von Göttern regiert wurde. Es waren mächtige Götter, die aber auch so menschliche Gefühle wie Liebe und Hass, Neid und Eifersucht und manchmal sogar Schwäche kannten. Von letzterer erzählt die Sage, nach der ausgerechnet der wegen seiner ungeheuren Stärke gefürchtete Gott Thor auf seiner Reise nach Jotunheimen einer Katze begegnete, die so gewaltig war, dass selbst er es nicht schaffte, sie hochzuheben.


Allerdings dürften Katzen solcher Ausmasse für den ungestümen Thor nichts Aussergewöhnliches gewesen sein - seine Mutter Freya, Gemahlin des Göttervaters Wodan, pflegte ihren goldenen Himmelswagen für die allnächtliche Ausfahrt ebenfalls mit zwei Katzen zu bespannen.

Lange dachte niemand daran, diese alten Legenden aufzuschreiben. Ueber Jahrhunderte wurden sie von einer Generation zur anderen weitergegeben. Ihre Erzählung verkürzte den Menschen die langen nordischen Nächte und hielt die Götter und ihre "Troll- oder Zauberkatzen" lebendig. Die ersten, die sich um die systematische Sammlung und schriftliche Niederlegung der Sagen und Märchen bemühten, waren der Volkskundler Peter Christen Asbjörnsen und der Dichter Jörgen Moe. Sie schufen um 1835 eine Sammlung norwegischer Volksmärchen und -lieder, die ihnen bis heute einen gewissen Ruhm und den Beinamen "die norwegischen Gebrüder Grimm" eingebracht haben.

 

Nun unterscheiden sich Sagen und Märchen normalerweise darin, dass man in der Sage ein Körnchen Wahrheit, einen wahren Ursprung vermutet. Die Erwähnung der Trollkatzen mit buschigen Schwänzen ist zwar ein malerisches Indiz, tatsächlich aber ist man bei der Suche nach dem "irdischen" Ursprung der Norwegischen Waldkatze weitgehend auf Vermutungen angewiesen.

Untersuchungen und Vergleiche haben ergeben, dass sie nicht mit der Europäischen Wildkatze verwandt ist - Typ und Fellqualität unterscheiden sich deutlich voneinander. So nimmt man an, dass etwas im 5. Jahrhundert n. Chr., nach dem Tode König Attilas und dem Zerfall des Hunnenreiches, einige Stämme von Mittel- und Osteuropa nach Skandinavien zogen. Mit ihnen kamen auch ihre samtpfotigen Mäusefänger, deren Hilfe beim Kampf gegen die lästigen Nager schon damals hoch geschätzt wurde.

Obwohl es sich um domestizierte Katzen handelte, waren sie noch lange nicht vom Menschen abhängig. Und so ist es durchaus denkbar, dass dann und wann einer dieser begabten Jäger den freiwilligen Dienst beim Menschen quittierte und sich in die Wildnis zurückzog, um seinem eigenen Lebensrhythmus zu folgen. Eine echte Ueberlebenschance aber hatten nur die Tiere, die es schafften, sich körperlich an das rauhe Klima Skandinaviens anzupassen. Hierbei stellte die Natur härteste Anforderungen: Die Katze musste sowohl gegen klirrende Kälte als auch gegen durchdringende Nässe gewappnet sein, dabei durfte der Pelz sie aber niemals behindern und sollte sie bei Bedarf so perfekt wie möglich tarnen. Sie sollte sich im tiefen Schnee genauso gut bewegen können wie auf kargen Felsen, und schliesslich würde sie sich auch gegen ihre natürlichen Feinde wie Fuchs oder Wolf behaupten müssen.


Jahrhundertelange Auslese und die sprichwörtliche Flexibilität, die allen Katzen eigen ist, lösten diese schwierige Aufgabe hervorragend: Der sogenannte "doppelte" Waldkatzenpelz hält mit leichter, aber dichter Unterwolle zuverlässig warm, während das glatte, leicht fettige und daher schwer herabfallende Deckhaar wasserabstossend wie eine Oelhaut wirkt und keine Nässe an die Haut heranlässt. So können die Tiere die feuchten Sommer und schneereichen Winter ihrer Heimat ohne Erkältungen und Erfrierungen überstehen. Das eher zottig und bei optimaler Qualität geradezu "ungepflegt" wirkende Fell filzt kaum. Nur zum Frühjahr, wenn sich die dicke Unterwolle des Winters löst und in Flocken ausgeht, können sich vor allem in den Achseln und zwischen den Hinterbeinen Knötchen bilden. Während in menschlicher Obhut Kamm und Schere wieder für Ordnung sorgen, haben sich Norweger in freier Wildbahn wohl mit den eigenen Zähnen behelfen müssen - und das tun sie mitunter heute noch, wenn der menschliche "Friseur" nicht schnell genug eingreift.

Die Fellfarbe variiert von Region zu Region und schien sich der Umgebung anzupassen: In den Wäldern Ost- und Mittelnorwegens fanden sich vor allem gestromte Katzen mit und ohne Weiss, an den grauen Felsküsten in Westnorwegen dagegen hatten die Waldkatzen meist schwarzes oder blaues Fell mit und ohne Weiss. Aus Südnorwegen kamen rote oder rot-schwarze Katzen, in schneereichen Gebieten benötigten die Tiere weisses oder grau-weisses Fell, um nicht aufzufallen. Interessant ist auch, dass die Katzen der Rentierlappen in der Finnmark durchweg einen etwas kürzeren, ziemlich dichten, plüschigen Pelz haben: Das Klima der norwegischen Finnmark ist im Durchschnitt zwar kälter, aber dafür wesentlich trockener als im Wald- und Fjordland Mittelnorwegens.


An den Pfoten entwickelten sich zwischen den Ballen lange, kräftige Haarbüschel, die sogenannten "Schneeschuhe", von denen man vermutet, dass sie das Einsinken in den Schnee verhindern sollten. Den Krallen einer Norwegischen Waldkatze sagt man nach, dass sie stärker seien als die der Europäischen Wildkatze - immerhin mussten sich auch Waldkatzen in felsigem, unwegsamen Gelände schnell und sicher bewegen können.

So ausgerüstet, lebten die meisten dieser von der Natur geformten Katzen ungestört, aber auch unbeachtet in den ausgedehnten Wäldern und abgelegenen Tälern Norwegens und Schwedens, wo man teilweise auch heute noch freilebende Tiere antreffen soll. Und tatsächlich gingen viele von ihnen den Weg, der ihre Vorfahren in die Wildnis geführt hatte, wieder zurück und liessen sich erneut auf den altbekannten Handel mit den Menschen ein: Die Waldkatzen hielten die Wald- und Fjordbauernhöfe frei von schmarotzenden Nagern und tauschten ihre Freiheit mit der Wärme der Ställe und einem Revier, das leichte Beute versprach.

Die Menschen schätzten diese Symbiose, und es war wieder ein Schriftsteller, der einer Waldkatze zu bleibendem Ruhm verhalf: Der Norweger Gabriel Scott veröffentlichte 1912 ein Kinderbuch mit Erzählungen über den Waldkatzer Solvfaks. Sogar in Deutschland macht Solvfaks unter dem Namen "Silberpelz" Karriere.


Leider hatte die beginnende Domestikation auch eine Vermischung mit den dominanten Genen kurzhaariger Hauskatzen zur Folge, und der typische Waldkatzenpelz begann nach und nach zu verschwinden. Um das zu verhindern, startete eine kleine Gruppe norwegischer Züchter Anfang der dreissiger Jahre eine planmässige Zucht. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg wurde eine Waldkatze in Oslo ausgestellt, und nach dem Krieg verfolgten einige Liebhaber den Plan weiter, mit möglichst typvollen und rassereinen Tieren die Art zu erhalten.

Im September 1972 wurde die Waldkatze als eigenständige Rasse von den norwegischen Vereinen akzeptiert und erhielt einen vorläufigen Standard. Damit wurde die Bezeichnung "Norsk Skogkatt" offiziell - sie bezieht sich nicht auf geographische Grenzen (schliesslich kommen Waldkatzen auch in anderen skandinavischen Ländern vor) sondern auf das erste Land, das die Waldkatze als Rasse anerkannt hat. Zum Durchbruch kam es allerdings erst einige Jahre später:

Es begann 1973, als das Ehepaar Nylund Fotos von seinen Katzen machte und einer befreundeten Perserzüchterin ein Bild davon zeigte. Diese Züchterin, Sonja Borgel, erkannte, dass es sich bei den Tieren der Nylunds um Waldkatzen handelte. Sie gab ihre Entdeckung an Helen und Carl-Frederik Nordane (Vorstand des Norske Rasekattklubbers Riksforbund = NRR) und Edel Runas (NRR Zuchtausschuss) weiter. Die drei hatten gerade einen Aufruf an alle Halter von Norwegischen Waldkatzen veröffentlicht, die ihnen helfen sollten, die verbliebenen Tiere zu lokalisieren und auf ihre Zuchttauglichkeit zu prüfen, um die Rasse durch ein systematisches Zuchtprogramm zu retten.


Am 9. Oktober 1973 hatte der Aufruf Erfolg: Edel Runas meldete nach einem Besuch bei den Nylunds, dass dort tatsächlich Waldkatzen lebten, mit denen eine planmässige Zucht begonnen werden konnte.

Zuerst verpaarte man Pippa Skogpus, die Katze von Edel Runas, mit Pans Truls, dem Kater der Nylunds. Am 17. April 1974 kamen Pjewiks Forest Troll und Pjewiks Forest Nisse auf die Welt - sozusagen die "Stunde Null" der dokumentierten Waldkatzenzucht. Der im Mai 1973 geborene Pans Truls selbst hinterliess nur zwei Würfe - ausser mit Pippa wurde er nur noch mit Pans Trulte "verheiratet". Sein schwarz-weisser Sohn Pans Silver, geboren im Frühjahr 1975, konnte dagegen auf zehn bis zwölf Würfe zurückblicken. Noch heute findet man ihn in vielen hiesigen Stammbäumen, denn einige seiner Nachfahren hatten ihren Weg nach Deutschland gefunden. Das Zuchtprogramm wurde mit Eifer und grossem Engagement vorangetrieben, man kreuzte verschiedene Linien, und die Waldkatzen waren mit ihrer Nachzucht auf vielen Ausstellungen zu sehen. Während der Shows wurden die Tiere einem Zuchtausschuss vorgestellt, der allerdings streng selektierte und nur wenige Katzen zur Rasse anerkannte.

Im Jahr 1975 entstand die Idee, einen eigenen Interessenverband, den "Skogkattring", zu gründen. Auf die Initiative von Edel Runas, Familie Nylund und Egil Bochgreving hin gab Carl-Frederik Nordane seine bereitwillige Zustimmung zur Gründung dieser Interessengemeinschaft unter dem Patronat des NRR. Im Hause von Liv Loose fand dann die erste Versammlung des "Norsk Skogkattring" statt.


Die planvolle Zucht der nächsten Jahre wurde dadurch erschwert, dass es nur wenige anerkannte "Stammeseltern" gab und so teilweise Inzucht unvermeidlich war. Schliesslich mussten drei vollständige Generationen der "neuen" Rasse nachweisbar sein, bevor der Antrag auf internationale Anerkennung der Norwegischen Waldkatze beim Dachverband FIFe (= Féderation Internationale Féline) gestellt werden konnte. Im April 1977 gab es in Norwegen etwas 150 registrierte Norwegische Waldkatzen. Man empfing auf einer Ausstellung in Oslo eine deutsche Richterin, die von der Generalversammlung der FIFe beauftragt worden war, einen genauen Bericht über diese neue Rasse anzufertigen. Er sollte der FIFe-Richterkommission dabei helfen, über die Zukunft der Norwegischen Waldkatzen als Rasse zu entscheiden.

Es war ein denkwürdiger Tag im November 1977, als Carl-Frederick Nordane nach Paris zur Generalversammlung der FIFe reiste. Im Gepäck hatte er Fotos der Rasse, deren internationale Anerkennung er zu seinem persönlichen Anliegen gemacht hatte. Mit den Bildern dekorierte er einen Tisch, um den gestrengen Richtern die Norwegische Waldkatze so eindrucksvoll wie möglich vor Augen zu führen. In Oslo unterdessen wurden nach Kräften Daumen gedrückt und Fortuna beschworen. Es hat geholfen: Es war der braungestromt/weisse Pans Truls, der als erste Norwegische Waldkatze mit vollen Zertifikatsstatus (unter der Standardnummer 13 NF) anerkannt wurde. Im norwegischen Fernsehen erschien sein Bild während der Tagesschau mit dem Kommentar "Man hat beschlossen, die Norwegische Waldkatze als eigenständige Rasse anzuerkennen."


Und ganz Norwegen freute sich mit.


Auch im Ausland wurde man aufmerksam auf die "Katze, die aus den Wäldern kam". Nach der Anerkennung durch die FIFe waren aber nur Katzen ab der vierten Generation zum Export zugelassen, erst ab 1981 durften auch Jungtiere der zweiten Generation exportiert werden. Vorher musste sie allerdings ein Zuchtausschuss beurteilen und freigeben. 1982 teilt man die Norwegerin zum Richten in vier grosse Farbkategorien ein: Agouti (gestromt, NF A), Non-Agouti (nicht gestromt, NF B), Aoguti mit weiss (NF Aw) und Non-Agouti mit weiss (NF Bw). Dieser Buchstabencode entstammte dem Nummernsystem der FIFe und wurde so nur von Vereinen verwendet, die dieser Dachorganisation angeschlossen waren. Mit wachsender Popularität tauchte die Norwegische Waldkatze natürlich auch in den über zwanzig freien Katzenzuchtvereinen Deutschlands auf, und hier sah nicht nur ihre Standardnummer anders aus - hier wurde auch jede Farbe einzeln gerichtet, sogar aus den Zeichnungsformen (Classic = Räderzeichnung, Mackerel = Tigerzeichnung) entstanden eigene Klassen. Das ergab auch eine völlig andere Konkurrenzsituation: Unter den anfangs noch recht wenigen Waldkatzen, die vor allem bei den unabhängigen Vereinen zu Ausstellungen gemeldet wurden, gab es kaum zwei derselben Farbe, Zeichnung und Altersklasse, so dass sich die meisten ganz ohne "Nebenbuhler" um ihre Siegeranwartschaften bewerben konnten.

Die vier grossen Farbklassen, mit denen die FIFe-Vereine begonnen hatten, schafften dagegen andere Verhältnisse. Ob zum Beispiel rot-, blau-, silber- oder schwarzgestromt - alles fand sich, nur nach Altersstufen und Geschlecht getrennt, in derselben Klasse wieder, und so mussten schon bei den frühen Showauftritten der FIFe-Norweger mehrere Tiere für ihren "Punkt" um die Gunst der Richter buhlen. Was aber in den Anfängen ein reizvoller Wettstreit war, führte in den letzten Jahren zu frustrierend grossen Klassen, die kaum mehr eine realistische Hoffnung auf den angestrebten Titel zuliessen. Daher setzte die FIFe Anfang 1992 ein neues System zur Farbeinteilung der Norwegischen Waldkatze in Kraft, das zwar nicht jede Farbe einzeln erfasst, aber viel differenzierter vorgeht: Innterhalb der Farbgruppen von 1 (schwarz/blau) bis 9 (weiss) kennzeichnet eine Kombination von Buchstaben und Zahlen die genaue Farbe und Zeichnung.

Obwohl der Standard besagt, dass Typ und Fellqualität die primären Merkmale sind und Farbe und Zeichnung bei der Beurteilung erst in zweiter Linie zum Tragen kommen sollen, legen immer mehr Richter vor allem ausserhalb der FIFe immer grösseren Wert auf diese "Aeusserlichkeiten". 

Unabhängig von diesen unterschiedlichen Auffassungen erfreut sich die Norwegische Waldkatze in den letzten Jahren einer ständig wachsenden Beliebtheit. Die Norweger fehlen heute auf keiner Ausstellung mehr und das Urteil der Besucher bestätigt noch immer den Anspruch, den die Züchter der ersten Stunde an ihre Rasse hatten: "Die sieht ja aus wie eine Wildkatze."


Gibt es ein schöneres Kompliment?

 

Quelle: Tanja Ehrhardt, Norwegische Waldkatzen

Die Geschichte der Norwegischen Waldkatze begann in einer längst versunkenen Zeit, als die Menschen noch nicht für alles eine wissenschaftliche Erklärung hatten und die Welt von Göttern regiert wurde. Es waren mächtige Götter, die aber auch so menschliche Gefühle wie Liebe und Hass, Neid und Eifersucht und manchmal sogar Schwäche kannten. Von letzterer erzählt die Sage, nach der ausgerechnet der wegen seiner ungeheuren Stärke gefürchtete Gott Thor auf seiner Reise nach Jotunheimen einer Katze begegnete, die so gewaltig war, dass selbst er es nicht schaffte, sie hochzuheben.


Allerdings dürften Katzen solcher Ausmasse für den ungestümen Thor nichts Aussergewöhnliches gewesen sein - seine Mutter Freya, Gemahlin des Göttervaters Wodan, pflegte ihren goldenen Himmelswagen für die allnächtliche Ausfahrt ebenfalls mit zwei Katzen zu bespannen.

Lange dachte niemand daran, diese alten Legenden aufzuschreiben. Ueber Jahrhunderte wurden sie von einer Generation zur anderen weitergegeben. Ihre Erzählung verkürzte den Menschen die langen nordischen Nächte und hielt die Götter und ihre "Troll- oder Zauberkatzen" lebendig. Die ersten, die sich um die systematische Sammlung und schriftliche Niederlegung der Sagen und Märchen bemühten, waren der Volkskundler Peter Christen Asbjörnsen und der Dichter Jörgen Moe. Sie schufen um 1835 eine Sammlung norwegischer Volksmärchen und -lieder, die ihnen bis heute einen gewissen Ruhm und den Beinamen "die norwegischen Gebrüder Grimm" eingebracht haben.

 

Nun unterscheiden sich Sagen und Märchen normalerweise darin, dass man in der Sage ein Körnchen Wahrheit, einen wahren Ursprung vermutet. Die Erwähnung der Trollkatzen mit buschigen Schwänzen ist zwar ein malerisches Indiz, tatsächlich aber ist man bei der Suche nach dem "irdischen" Ursprung der Norwegischen Waldkatze weitgehend auf Vermutungen angewiesen.

Untersuchungen und Vergleiche haben ergeben, dass sie nicht mit der Europäischen Wildkatze verwandt ist - Typ und Fellqualität unterscheiden sich deutlich voneinander. So nimmt man an, dass etwas im 5. Jahrhundert n. Chr., nach dem Tode König Attilas und dem Zerfall des Hunnenreiches, einige Stämme von Mittel- und Osteuropa nach Skandinavien zogen. Mit ihnen kamen auch ihre samtpfotigen Mäusefänger, deren Hilfe beim Kampf gegen die lästigen Nager schon damals hoch geschätzt wurde.

Obwohl es sich um domestizierte Katzen handelte, waren sie noch lange nicht vom Menschen abhängig. Und so ist es durchaus denkbar, dass dann und wann einer dieser begabten Jäger den freiwilligen Dienst beim Menschen quittierte und sich in die Wildnis zurückzog, um seinem eigenen Lebensrhythmus zu folgen. Eine echte Ueberlebenschance aber hatten nur die Tiere, die es schafften, sich körperlich an das rauhe Klima Skandinaviens anzupassen. Hierbei stellte die Natur härteste Anforderungen: Die Katze musste sowohl gegen klirrende Kälte als auch gegen durchdringende Nässe gewappnet sein, dabei durfte der Pelz sie aber niemals behindern und sollte sie bei Bedarf so perfekt wie möglich tarnen. Sie sollte sich im tiefen Schnee genauso gut bewegen können wie auf kargen Felsen, und schliesslich würde sie sich auch gegen ihre natürlichen Feinde wie Fuchs oder Wolf behaupten müssen.


Jahrhundertelange Auslese und die sprichwörtliche Flexibilität, die allen Katzen eigen ist, lösten diese schwierige Aufgabe hervorragend: Der sogenannte "doppelte" Waldkatzenpelz hält mit leichter, aber dichter Unterwolle zuverlässig warm, während das glatte, leicht fettige und daher schwer herabfallende Deckhaar wasserabstossend wie eine Oelhaut wirkt und keine Nässe an die Haut heranlässt. So können die Tiere die feuchten Sommer und schneereichen Winter ihrer Heimat ohne Erkältungen und Erfrierungen überstehen. Das eher zottig und bei optimaler Qualität geradezu "ungepflegt" wirkende Fell filzt kaum. Nur zum Frühjahr, wenn sich die dicke Unterwolle des Winters löst und in Flocken ausgeht, können sich vor allem in den Achseln und zwischen den Hinterbeinen Knötchen bilden. Während in menschlicher Obhut Kamm und Schere wieder für Ordnung sorgen, haben sich Norweger in freier Wildbahn wohl mit den eigenen Zähnen behelfen müssen - und das tun sie mitunter heute noch, wenn der menschliche "Friseur" nicht schnell genug eingreift.

Die Fellfarbe variiert von Region zu Region und schien sich der Umgebung anzupassen: In den Wäldern Ost- und Mittelnorwegens fanden sich vor allem gestromte Katzen mit und ohne Weiss, an den grauen Felsküsten in Westnorwegen dagegen hatten die Waldkatzen meist schwarzes oder blaues Fell mit und ohne Weiss. Aus Südnorwegen kamen rote oder rot-schwarze Katzen, in schneereichen Gebieten benötigten die Tiere weisses oder grau-weisses Fell, um nicht aufzufallen. Interessant ist auch, dass die Katzen der Rentierlappen in der Finnmark durchweg einen etwas kürzeren, ziemlich dichten, plüschigen Pelz haben: Das Klima der norwegischen Finnmark ist im Durchschnitt zwar kälter, aber dafür wesentlich trockener als im Wald- und Fjordland Mittelnorwegens.


An den Pfoten entwickelten sich zwischen den Ballen lange, kräftige Haarbüschel, die sogenannten "Schneeschuhe", von denen man vermutet, dass sie das Einsinken in den Schnee verhindern sollten. Den Krallen einer Norwegischen Waldkatze sagt man nach, dass sie stärker seien als die der Europäischen Wildkatze - immerhin mussten sich auch Waldkatzen in felsigem, unwegsamen Gelände schnell und sicher bewegen können.

So ausgerüstet, lebten die meisten dieser von der Natur geformten Katzen ungestört, aber auch unbeachtet in den ausgedehnten Wäldern und abgelegenen Tälern Norwegens und Schwedens, wo man teilweise auch heute noch freilebende Tiere antreffen soll. Und tatsächlich gingen viele von ihnen den Weg, der ihre Vorfahren in die Wildnis geführt hatte, wieder zurück und liessen sich erneut auf den altbekannten Handel mit den Menschen ein: Die Waldkatzen hielten die Wald- und Fjordbauernhöfe frei von schmarotzenden Nagern und tauschten ihre Freiheit mit der Wärme der Ställe und einem Revier, das leichte Beute versprach.

Die Menschen schätzten diese Symbiose, und es war wieder ein Schriftsteller, der einer Waldkatze zu bleibendem Ruhm verhalf: Der Norweger Gabriel Scott veröffentlichte 1912 ein Kinderbuch mit Erzählungen über den Waldkatzer Solvfaks. Sogar in Deutschland macht Solvfaks unter dem Namen "Silberpelz" Karriere.


Leider hatte die beginnende Domestikation auch eine Vermischung mit den dominanten Genen kurzhaariger Hauskatzen zur Folge, und der typische Waldkatzenpelz begann nach und nach zu verschwinden. Um das zu verhindern, startete eine kleine Gruppe norwegischer Züchter Anfang der dreissiger Jahre eine planmässige Zucht. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg wurde eine Waldkatze in Oslo ausgestellt, und nach dem Krieg verfolgten einige Liebhaber den Plan weiter, mit möglichst typvollen und rassereinen Tieren die Art zu erhalten.

Im September 1972 wurde die Waldkatze als eigenständige Rasse von den norwegischen Vereinen akzeptiert und erhielt einen vorläufigen Standard. Damit wurde die Bezeichnung "Norsk Skogkatt" offiziell - sie bezieht sich nicht auf geographische Grenzen (schliesslich kommen Waldkatzen auch in anderen skandinavischen Ländern vor) sondern auf das erste Land, das die Waldkatze als Rasse anerkannt hat. Zum Durchbruch kam es allerdings erst einige Jahre später:

Es begann 1973, als das Ehepaar Nylund Fotos von seinen Katzen machte und einer befreundeten Perserzüchterin ein Bild davon zeigte. Diese Züchterin, Sonja Borgel, erkannte, dass es sich bei den Tieren der Nylunds um Waldkatzen handelte. Sie gab ihre Entdeckung an Helen und Carl-Frederik Nordane (Vorstand des Norske Rasekattklubbers Riksforbund = NRR) und Edel Runas (NRR Zuchtausschuss) weiter. Die drei hatten gerade einen Aufruf an alle Halter von Norwegischen Waldkatzen veröffentlicht, die ihnen helfen sollten, die verbliebenen Tiere zu lokalisieren und auf ihre Zuchttauglichkeit zu prüfen, um die Rasse durch ein systematisches Zuchtprogramm zu retten.


Am 9. Oktober 1973 hatte der Aufruf Erfolg: Edel Runas meldete nach einem Besuch bei den Nylunds, dass dort tatsächlich Waldkatzen lebten, mit denen eine planmässige Zucht begonnen werden konnte.

Zuerst verpaarte man Pippa Skogpus, die Katze von Edel Runas, mit Pans Truls, dem Kater der Nylunds. Am 17. April 1974 kamen Pjewiks Forest Troll und Pjewiks Forest Nisse auf die Welt - sozusagen die "Stunde Null" der dokumentierten Waldkatzenzucht. Der im Mai 1973 geborene Pans Truls selbst hinterliess nur zwei Würfe - ausser mit Pippa wurde er nur noch mit Pans Trulte "verheiratet". Sein schwarz-weisser Sohn Pans Silver, geboren im Frühjahr 1975, konnte dagegen auf zehn bis zwölf Würfe zurückblicken. Noch heute findet man ihn in vielen hiesigen Stammbäumen, denn einige seiner Nachfahren hatten ihren Weg nach Deutschland gefunden. Das Zuchtprogramm wurde mit Eifer und grossem Engagement vorangetrieben, man kreuzte verschiedene Linien, und die Waldkatzen waren mit ihrer Nachzucht auf vielen Ausstellungen zu sehen. Während der Shows wurden die Tiere einem Zuchtausschuss vorgestellt, der allerdings streng selektierte und nur wenige Katzen zur Rasse anerkannte.

Im Jahr 1975 entstand die Idee, einen eigenen Interessenverband, den "Skogkattring", zu gründen. Auf die Initiative von Edel Runas, Familie Nylund und Egil Bochgreving hin gab Carl-Frederik Nordane seine bereitwillige Zustimmung zur Gründung dieser Interessengemeinschaft unter dem Patronat des NRR. Im Hause von Liv Loose fand dann die erste Versammlung des "Norsk Skogkattring" statt.


Die planvolle Zucht der nächsten Jahre wurde dadurch erschwert, dass es nur wenige anerkannte "Stammeseltern" gab und so teilweise Inzucht unvermeidlich war. Schliesslich mussten drei vollständige Generationen der "neuen" Rasse nachweisbar sein, bevor der Antrag auf internationale Anerkennung der Norwegischen Waldkatze beim Dachverband FIFe (= Féderation Internationale Féline) gestellt werden konnte. Im April 1977 gab es in Norwegen etwas 150 registrierte Norwegische Waldkatzen. Man empfing auf einer Ausstellung in Oslo eine deutsche Richterin, die von der Generalversammlung der FIFe beauftragt worden war, einen genauen Bericht über diese neue Rasse anzufertigen. Er sollte der FIFe-Richterkommission dabei helfen, über die Zukunft der Norwegischen Waldkatzen als Rasse zu entscheiden.

Es war ein denkwürdiger Tag im November 1977, als Carl-Frederick Nordane nach Paris zur Generalversammlung der FIFe reiste. Im Gepäck hatte er Fotos der Rasse, deren internationale Anerkennung er zu seinem persönlichen Anliegen gemacht hatte. Mit den Bildern dekorierte er einen Tisch, um den gestrengen Richtern die Norwegische Waldkatze so eindrucksvoll wie möglich vor Augen zu führen. In Oslo unterdessen wurden nach Kräften Daumen gedrückt und Fortuna beschworen. Es hat geholfen: Es war der braungestromt/weisse Pans Truls, der als erste Norwegische Waldkatze mit vollen Zertifikatsstatus (unter der Standardnummer 13 NF) anerkannt wurde. Im norwegischen Fernsehen erschien sein Bild während der Tagesschau mit dem Kommentar "Man hat beschlossen, die Norwegische Waldkatze als eigenständige Rasse anzuerkennen."


Und ganz Norwegen freute sich mit.


Auch im Ausland wurde man aufmerksam auf die "Katze, die aus den Wäldern kam". Nach der Anerkennung durch die FIFe waren aber nur Katzen ab der vierten Generation zum Export zugelassen, erst ab 1981 durften auch Jungtiere der zweiten Generation exportiert werden. Vorher musste sie allerdings ein Zuchtausschuss beurteilen und freigeben. 1982 teilt man die Norwegerin zum Richten in vier grosse Farbkategorien ein: Agouti (gestromt, NF A), Non-Agouti (nicht gestromt, NF B), Aoguti mit weiss (NF Aw) und Non-Agouti mit weiss (NF Bw). Dieser Buchstabencode entstammte dem Nummernsystem der FIFe und wurde so nur von Vereinen verwendet, die dieser Dachorganisation angeschlossen waren. Mit wachsender Popularität tauchte die Norwegische Waldkatze natürlich auch in den über zwanzig freien Katzenzuchtvereinen Deutschlands auf, und hier sah nicht nur ihre Standardnummer anders aus - hier wurde auch jede Farbe einzeln gerichtet, sogar aus den Zeichnungsformen (Classic = Räderzeichnung, Mackerel = Tigerzeichnung) entstanden eigene Klassen. Das ergab auch eine völlig andere Konkurrenzsituation: Unter den anfangs noch recht wenigen Waldkatzen, die vor allem bei den unabhängigen Vereinen zu Ausstellungen gemeldet wurden, gab es kaum zwei derselben Farbe, Zeichnung und Altersklasse, so dass sich die meisten ganz ohne "Nebenbuhler" um ihre Siegeranwartschaften bewerben konnten.

Die vier grossen Farbklassen, mit denen die FIFe-Vereine begonnen hatten, schafften dagegen andere Verhältnisse. Ob zum Beispiel rot-, blau-, silber- oder schwarzgestromt - alles fand sich, nur nach Altersstufen und Geschlecht getrennt, in derselben Klasse wieder, und so mussten schon bei den frühen Showauftritten der FIFe-Norweger mehrere Tiere für ihren "Punkt" um die Gunst der Richter buhlen. Was aber in den Anfängen ein reizvoller Wettstreit war, führte in den letzten Jahren zu frustrierend grossen Klassen, die kaum mehr eine realistische Hoffnung auf den angestrebten Titel zuliessen. Daher setzte die FIFe Anfang 1992 ein neues System zur Farbeinteilung der Norwegischen Waldkatze in Kraft, das zwar nicht jede Farbe einzeln erfasst, aber viel differenzierter vorgeht: Innterhalb der Farbgruppen von 1 (schwarz/blau) bis 9 (weiss) kennzeichnet eine Kombination von Buchstaben und Zahlen die genaue Farbe und Zeichnung.

Obwohl der Standard besagt, dass Typ und Fellqualität die primären Merkmale sind und Farbe und Zeichnung bei der Beurteilung erst in zweiter Linie zum Tragen kommen sollen, legen immer mehr Richter vor allem ausserhalb der FIFe immer grösseren Wert auf diese "Aeusserlichkeiten". 

Unabhängig von diesen unterschiedlichen Auffassungen erfreut sich die Norwegische Waldkatze in den letzten Jahren einer ständig wachsenden Beliebtheit. Die Norweger fehlen heute auf keiner Ausstellung mehr und das Urteil der Besucher bestätigt noch immer den Anspruch, den die Züchter der ersten Stunde an ihre Rasse hatten: "Die sieht ja aus wie eine Wildkatze."


Gibt es ein schöneres Kompliment?

 

Quelle: Tanja Ehrhardt, Norwegische Waldkatzen